Diese oben abgebildeten Fotografien sind zwischen 1950 und 1960 auf der Waldwiese entstanden.
Die Geschichte der Waldwiese
(dieser Text folgt in weiten Teilen wörtlich Ingmar Willkomms Dokumentation.)
Der Kasseler Naturheilarzt Heinrich Goßmann wirkte mit der Gründung des »Naturheilvereins Kassel 1891 e.V.« segensreich auf zahlreiche Kasseler Bürger.
In der einst idyllischen Innenstadt aus Fachwerkhäusern lebten die Menschen am Ende des 19. Jahrhunderts in beengten und katastrophalen sanitären Verhältnissen.
Der Verein gewann bald die sehr hohe Zahl von 2.300 Mitgliedern, die sich wünschten, ein zwar einfaches, aber gesundes Leben führen zu können. 1928 gelang es dem »Naturheilverein Kassel 1891 e.V.« mit Billigung der damaligen Landesregierung und des Forstes, die Hühnerbergwiese im Habichtswald zu pachten. Bürger aus allen Kreisen der Bevölkerung, Henschelmitarbeiter, Geschäftsleute, Polizisten, Lehrer und Professoren schufen hier gemeinsam dieses Ensemble mit ehemals etwa 19 Hütten und einem Schwimmbassin für Ganzkörperanwendungen nach den Vorstellungen der Naturheil- und Reformbewegung.
Damit war man dem Ziel, ein einfaches und gesundes Leben in und mit der Natur zu führen, endlich nahe gekommen. Auf der Hühnerbergwiese sind seitdem die idealen Voraussetzungen gegeben. Von allen Anlagen des Naturheilvereins Kassel 1891 e.V. blieb durch die Zerstörung Kassels 1943 nur das »Luftbad Waldwiese« übrig. Dieses Ensemble ist – nicht nur im Hinblick auf Kassel – eines der seltenen noch authentischen und intakten baulichen Zeugnisse der Naturheilbewegung in Deutschland.
Eine vergleichbare Anlage von dieser Qualität existiert im gesamten Bundesgebiet nicht mehr.
Die artenreiche Wiese enthält – bedingt durch die über 70jährige unentgeltliche und sanfte Pflege durch den Verein – seltene Pflanzen wie z.B. das gefleckte Knabenkraut und den Teufelsabbiß, die nur unter bestimmten Bedingungen (Pflegemaßnahmen) wachsen können (siehe die Beiträge weiter unten auf dieser Seite). Umso wichtiger ist es jetzt, daß die schöne und vorbildlich eingegrünte Anlage in ihrer Gesamtheit erhalten bleibt.
Ein Interview mit Frau Rosa Haus
Im Herbst 2004 hatten zwei Mitglieder unseres Vereins die Gelegenheit, mit Frau Rosa Haus, Jahrgang 1928, ein Interview zu führen. Frau Haus war und ist zeitlebens Mitglied des Naturheilvereins Kassel und verbrachte ihre Kindheits- und Jugendjahre auf der Waldwiese.
Frau Haus war als Holoritkartenlocherin (ein Vorläufer der modernen Datenverarbeitung) unter anderem bei den Junkerswerken in Kassel beschäftigt. Sie erlebte die Bombennächte in Kassel als junges Mädchen. Die Familie Haus wohnte in der Altstadt Kassels, in der Marktgasse, und Ihre Eltern hatten das Glück, vom Naturheilverein Kassel eine kleine Parzelle hoch oben im Habichtswald pachten zu können. Sie gehörten somit zur Gründer-Generation unserer kleinen Waldhüttensiedlung auf den Hühnerbergwiesen.
Frau Haus, wie muß man sich das Leben auf der Hühnerbergwiese in den 40er und 50er Jahren vorstellen?
Es war ein sehr einfaches und bescheidenes Leben, wir hatten ja so gut wie kein Geld. Wir waren ja auch alle irgendwie Naturanhänger und wollten uns von der Stadt erholen. Es war sicher mit die schönste und glücklichste Zeit meines Lebens. In den Urlaub fahren, wie heute üblich, konnten wir ja nicht, meine Eltern hatten weder ein Auto noch Geld dafür. Aber wir hatten ja die kleine Hütte im Habichtswald. Wir verbrachten stets unsere gesamten Sommerferien dort oben und überhaupt jede freie Zeit die sich bot. Viele Vereinsmitglieder waren zwei oder drei Monate am Stück dort im Wald. Auch bei uns war es so, daß, wenn der Urlaub meines Vaters zu Ende war, meine Geschwister, ich und meine Mutter weiter dort blieben, Vater mit dem Fahrrad in die Stadt zur Arbeit fuhr und abends wieder zu uns hoch kam. Ach, es war eine schöne Zeit.
Wie verpflegte man sich denn über einen solch langen Zeitraum im Wald?
Das war gar kein Problem. Einen sehr großen Teil deckte ja schon der Wald und die Wiese. Damals gab es noch überall Heidelbeeren im Wald, die sind inzwischen, glaub ich, fast völlig verschwunden; im Herbst all die Pilze, und auf der Wiese wuchs unser Salat: Es gab Brennesselgemüse, Sauerampfer und Löwenzahn und Salat aus Giersch. Außerdem gab es in der Eschebergstraße einen kleinen Lebensmittel-Laden. Der Besitzer kam zwei- bis dreimal die Woche mit seinem Fahrrad mit Anhänger zu uns und versorgte uns auf Bestellung mit dem Nötigen. Auch hatten wir ja die Kühe von dem Bauern aus Harleshausen auf der Wiese, es gab also auch Milch und der Bauer brachte uns immer Eier mit. Somit waren wir eigentlich immer rundum bestens versorgt.
Was machte man denn so den ganzen Tag auf der Waldwiese, wurde das nicht langweilig?
Wo denken Sie hin? Es gab immer was zu tun, und es war eine große Gemeinschaft unter den Mitgliedern da. Man lud sich oft gegenseitig ein, Montags war Waschtag, die Wiese war dann eine große Bleiche, die Männer hatten immer an den Hütten oder am Becken zu tun, man machte weite Wanderungen oder einen kurzen Abstecher zu den Elfbuchen; der Wirt Conrad Fischer war auch Mitglied im Naturheilverein, und es gab Vergünstigungen bei ihm. Oder man ging runter zum Blauen See, Angeln oder Schwimmen. Der Blaue See war ja damals eine öffentliche Badeanstalt und kostete Eintritt. Frühmorgens wurde immer Tau getreten auf der Wiese, das war erfrischend! Auch gab es auf unserer unteren Wiese, unterhalb der Stelle, wo jetzt die Kneipp-Tretanlage steht, einen richtigen kleinen Sportplatz, wo die Kinder und Männer Handball oder Völkerball spielten.
Sie erwähnten gerade auch das Schwimmbassin. Wann wurde dies eigentlich gebaut?
Das kann ich nicht mehr genau sagen, aber es war ganz sicher schon vor dem Krieg da.
Gab es denn da nie Probleme mit dem Forst oder anderen Behörden?
Davon weiß ich nichts. Zu den Förstern hatten wir immer besten Kontakt, wir zahlten unsere Pacht und hatten somit keine Probleme. Zumindest nicht solche, wie Sie sie jetzt haben. Es gab sogar in den 50er Jahren eine große Hütte auf der oberen Waldwiese, hinter der alten Hütte Ludolph noch, Herr Musch hatte sie gebaut. Muschs waren im Krieg ausgebombt und hatten wohl eine Sondergenehmigung, bis sie wieder in der Stadt einen Wohnraum hatten. Diese Hütte hatte drei Zimmer, und es wurde eine Stromleitung vom Blauen See hochgelegt. Als die Hütte Ende der 50er wieder abgerissen werden mußte, kam das Angebot von der Stadt, ob wir denn den Strom nicht behalten wollten, wo er doch schon mal dort läge. Wir aber wollten keinen Strom, wir wollten unsere schönen Petroleumlampen behalten, das war doch viel gemütlicher. Ach, übrigens, wir bekamen sogar in der Urlaubszeit die Post regelmäßig dort hoch, man konnte die Post zu seinem Urlaubsort umbestellen, und der war ja nun mal die Hühnerbergwiese.
Hatten Sie denn nie Angst als Kind dort im Wald, gab es nicht auch Einbrüche oder ähnliches?
Nein – niemals. Wir sind ja quasi dort großgeworden, es war ganz natürlich, mit dem Tagesrhythmus zu leben. Geschlafen haben übrigens wir vier Kinder auf dem kleinen Spitzboden der Hütte, unten schliefen die Eltern. Richtig eingebrochen wurde, glaub ich, nur einmal, es nistete sich einmal in einer Hütte ein Obdachloser für ein paar Tage ein. Es gab immer viele Spielkameraden auf der Waldwiese, ach es war eine herrliche Zeit.
Frau Haus ist offenbar eine der drei letzten Zeitzeuginnen aus der Gründergeneration der Waldwiese.